Raus aus der Nische

Noch sind flexible Stromtarife selten. In den kommenden Jahren wird sich das ändern, prognostiziert Alexander Weber, Experte für Energiemanagement. Doch was bedeutet das für Industrie, Versorgungsunternehmen – und die Energiewende?

Welche Folgen hat die Klima-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die Stromerzeugung? 
Es bedeutet, dass der Ausbau erneuerbarer Energien jetzt noch stärker vorangetrieben werden muss, als das bislang vorgesehen war. Das ist auch das, was ich bei Industrieunternehmen mitbekomme. Sie möchten grünen Strom, bekommen ihn aber nicht immer.
 
Warum nicht? 
Insbesondere die Konditionen zu denen er beschafft werden kann, sind schwierig – gerade wenn es nicht nur um eine bilanzielle Betrachtung geht. 
 
Eine Stellschraube erneuerbare Energien zu fördern, sind flexible Stromtarife. Erstmal zum Verständnis: Was bedeutet hier flexibel? 
Es bedeutet, dass der Stromtarif einen Anreiz bietet, den eigenen Strombezug flexibel an einen zeitlich veränderlichen Tarif anzupassen. Einige werden sich noch erinnern: Früher waren ein Hoch- und Niedertarif weit verbreitet. Der günstigere Niedertarif für die Schwachlastphasen hatte zum Ziel, die großen Grundlastkraftwerke auszulasten. Im Prinzip analog dazu können flexible Tarife einen Beitrag dazu leisten, dass sich die Kosten eines Gesamtsystems, das stark auf erneuerbaren Energien basiert, reduzieren. Das hilft letztlich den Stromkunden und somit auch den Industrieunternehmen.
 
Wie können flexible Tarife erneuerbare Energien fördern?
Durch flexible Tarife entstehen zwar nicht per se weitere erneuerbare Energien, aber der Druck sinkt, teure Energiespeicher zu errichten. Das heißt nicht, dass andere Speicher-Technologien keine Rolle mehr spielen, es schafft aber mehr Optionen. Die günstigste Option ist mit dem zu arbeiten, was bereits da ist. Der Einsatz von etwas zusätzlicher Software oder auch Hardware ist dann effizienter als neue große Batterien aufzustellen. 
 
Was braucht es für Software oder Hardware? 
Je nachdem welche Art von Flexibilität man hat und wie der Vertrag mit dem Stromversorger aussieht, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Das fängt im Industriekontext in der Regel auf einer vorhandenen Steuerungs- und Leittechnik-Ebene an, da würde man auch ohne zusätzliche Hardware auskommen. Man kann zum Beispiel die An- und Ausschaltzyklen von Versorgungsanlagen verschieben.
 
Flexible Stromtarife sind noch ein rares Angebot. Warum? 
Diese flexiblen Modelle sind noch nicht bekannt und Unternehmen beschäftigten sich nicht damit, wie sie solche Modelle in ihren Strom-Beschaffungsprozess integrieren können. So ein flexibler Stromvertrag ist potenziell komplexer als ein normaler. Die Vorteile der flexiblen Strombeschaffung dürfen nicht dadurch aufgefressen werden, dass sie gar nicht in den normalen Beschaffungsprozess eines Unternehmens reinpassen. Dafür stellen wir in unserem Artikel Modelle vor und vergleichen die auch miteinander. Wir zeigen, dass es für die Versorger durchaus Möglichkeiten gibt, niederschwellige Angebote zu machen. Denn die sollen im Zuge der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes dazu gebracht werden, flexible Stromtarife anzubieten. Das wird dann hoffentlich auch die Diskussionen über geeignete Modelle befeuern. 
 
Das heißt die Neuerung im Gesetz nimmt die Versorger in die Pflicht? 
Das Gesetz lässt noch viel Raum für Angebote, die nicht so wirksam sind. Es wäre wünschenswert, wenn das Thema bei Industrie und Versorgern eine größere Rolle einnimmt und deutlich wird, dass dadurch gezielt ein Beitrag zur Dekarbonisierung geleistet wird. Dass sich Unternehmen also nicht nur durch einen 100-Prozent-Grünstrom-Vertrag freikaufen, sondern einen Beitrag dazu leisten, erneuerbare Energien besser in ihr System zu integrieren. Letztlich wird eine flexible Belieferung unter Berücksichtigung aller Kosten für die Unternehmen auch günstiger als eine „grüne Vollversorgung“.
 
Was haben die Versorger davon? 
Sie können ihren Abnehmern bessere und differenzierte Angebote machen. Außerdem kann der Versorger die flexiblen Abnehmer in seine Portfolio-Optimierung aufnehmen. Den Strom, der früher aus steuerbaren Kraftwerken kam und heute weniger steuerbar aus erneuerbaren Energien, kann der Versorger durch die Flexibilität erweitern, die er sich von der Nachfrageseite dazu holt. 
 
Bis wann werden flexible Tarife wohl aus ihrer Nische herausgewachsen sein? 
Es ist zu erwarten, dass das in den nächsten fünf bis zehn Jahren passieren wird. In diesem Zeitraum wird sich das breit etablieren. Das liegt daran, dass die konventionellen Einspeiser im Stromsystem deutlich weniger werden, und sich der Anteil der erneuerbaren Energien erhöht. Das macht die neuen Modelle attraktiver für Abnehmer und Versorger. 
 

Dr. Alexander Weber ist Energieberater bei ÖKOTEC. © ÖKOTEC
 

Über flexible Stromtarife und unterschiedliche Modelle schreiben Alexander Weber und seine Kollegen im Beitrag  Flexible Stromtarife – Ein Baustein der Energiewende in der Industrie (Industrie 4.0 Management 2/2021).