Erfolg versprechende Industrie 4.0-Zielposition - Ermittlung unter Berücksichtigung zukünftiger Umfeldentwicklungen

Christoph Pierenkemper, Jannik Reinhold, Roman Dumitrescu und Jürgen Gausemeier

Mithilfe von Industrie 4.0-Reifegradmodellen können Unternehmen ihren Leistungsstand im Kontext Industrie 4.0 systematisch erfassen. Mit der Ermittlung des Status Quos ist in aller Regel die Frage verbunden „Wo wollen wir zukünftig hin?“. Vor dem Hintergrund, dass Unternehmen aus unterschiedlichen Gründen nicht immer das grundsätzlich Mögliche einführen können, ist die Beantwortung dieser Frage nicht trivial. Ist sich ein Unternehmen über seine I4.0-Zielposition vermeintlich im Klaren, führen äußere Einflüsse häufig dazu, dass die Zielerreichung erschwert wird, was oftmals eine Anpassung der Zielposition zur Folge hat. Es gilt also, diese Umstände bereits in der Planung zu berücksichtigen. Der vorliegende Beitrag zeigt auf, wie Umfeldentwicklungen bei der Ermittlung einer Erfolg versprechenden I4.0-Zielposition von Unternehmen einbezogen werden können.

Den Ausgangspunkt bildet ein Industrie 4.0-Reifegradmodell. Es dient dazu, die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens im Kontext von Industrie 4.0 (I4.0) zu bewerten. Reifegradmodelle gliedern sich in der Regel in Handlungsbereiche, darin enthaltene Handlungselemente (Kriterien) sowie zugehörige Leistungsstufen je Kriterium. Mithilfe eines I4.0-Reifegradmodells ist zunächst die aktuelle Leistungsfähigkeit eines Unternehmens zu bestimmen. Je nach Reifegradmodell kann dies auf verschiedene Weise erfolgen, beispielsweise Software-gestützt oder in Workshops mit Unternehmensvertretern. Im vorliegenden Beispiel wurde der sog. Quick-Check Industrie 4.0 des Forschungsverbundprojekts INLUMIA – Instrumentarium zur Leistungssteigerung von Unternehmen durch Industrie 4.0 verwendet. Unabhängig davon existieren zahlreiche weitere Industrie 4.0-Reifegradmodelle wie der Maturity Index von acatech [1]. Eine Übersicht liefert beispielsweise [2]. Auch für andere Reifegradmodelle kann das hier vorgestellte Vorgehen herangezogen werden, solange sie dem oben beschriebenen Aufbau entsprechen.

Den Aufbau des hier verwendeten I4.0-Reifegradmodells verdeutlicht Bild 1. Dem Projekt INLUMIA liegt die Annahme zugrunde, dass es sich bei Unternehmen in Anlehnung an Ulich um soziotechnische Systeme handelt. Neben der rein technischen Weiterentwicklung von Unternehmen sind demnach ebenso organisatorische und soziale Aspekte gleichermaßen zu berücksichtigen [3]. Vor dem Hintergrund ökonomischer Unternehmensziele gilt es außerdem, wirtschaftliche Aspekte in Betracht zu ziehen. Daher erfolgt im vorliegenden Reifegradmodell eine Unterteilung in drei sog. Dimensionen Technik, Business und Mensch. Jede Dimension enthält vier sog. Handlungsbereiche. In der Dimension Technik sind dies beispielsweise die Technikorganisation, das Engineering, die Produktion und das Produkt. Jeder Handlungsbereich enthält Kriterien, die mit je vier Leistungsstufen versehen sind [4]. Beispiele für Kriterien in der Technikorganisation sind die Horizontale und Vertikale Integration oder die IT-Prozessunterstützung. Die detaillierten Beschreibungen der Leistungsstufen ermöglichen eine genaue Einschätzung der Leistungsfähigkeit je Kriterium. Die Workshop-Version des Quick-Check Industrie 4.0 enthält insgesamt 59 Kriterien. Eine reduzierte Form mit 33 Kriterien steht darüber hinaus als Online-Selbstcheck unter www.inlumia.de zur Verfügung. Die Online-Version ermöglicht einen Vergleich des eigenen Reifegrads mit der Leistungsfähigkeit ähnlicher Unternehmen in der Datenbank.
 


Bild 1: Aufbau des Reifegradmodells „QuickCheck Industrie 4.0“ von INLUMIA.

Ermittlung einer Erfolg versprechenden Industrie 4.0-Zielposition

Die Leistungsstufen eines Reifegradmodells können nicht nur zur Ermittlung der heutigen Leistungsfähigkeit herangezogen werden. Sie eignen sich ebenso zur Bestimmung einer Erfolg versprechenden Zielposition. Wie eine solche Zielposition aussieht, ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich und daher näher zu untersuchen. Im Umfeld eines Unternehmens existieren zahlreiche Entwicklungen, die Einfluss auf die Erreichung einer Zielposition haben. Dazu zählen Trends und Einflussfaktoren aus verschiedenen Bereichen wie beispielsweise Politik, Ökonomie, Gesellschaft, Technologie oder Umwelt [5]. Wir erläutern im weiteren Verlauf, was wir darunter verstehen.
Die beschriebenen Entwicklungen beeinflussen die Kriterien eines Reifegradmodells sowie deren Weiterentwicklung – und zwar zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Zukunft. Wir schlagen daher eine schrittweise Weiterentwicklung der Kriterien vor. Konkret bedeutet dies die Erhöhung der Leistungsfähigkeit durch Erreichen höherer Leistungsstufen im Reifegradmodell zu verschiedenen Zeitpunkten. Unter Berücksichtigung der Umfeldentwicklungen ermitteln wir in einem zweistufi gen Vorgehen Erfolg versprechende Zielpositionen für die mittlere und lange Frist (Bild 2). Daraus ergeben sich folgende Vorteile:

• Die Entwicklung von Zukunftsbildern beruht auf dem Grundprinzip des vernetzten Denkens [5]. Die Komplexität dieser Aufgabe wird häufig unterschätzt. Durch die Kombination von Trends und Zukunftsszenarien wird dieses Prinzip bestärkt und sichergestellt, dass die Gesamtheit aller äußeren Einflüsse bei der Ermittlung der Zielpositionen ins Kalkül gezogen wird.
• Durch die iterative Bewertung von Trends und Szenarien können quasi „spielerisch“ verschiedene Zukunftsbilder ermittelt werden. Das unterstützt ein weiteres wichtiges Grundprinzip – nämlich das der multiplen Zukunft [5]. Dieses Grundprinzip ermuntert den Anwender, das „Undenkbare“ zu denken und die Grenzen des gewohnten Denkens zu überwinden.
• Kein Umfeld eines Unternehmens gleicht dem des anderen. Das beschriebene Vorgehen greift diese These auf und ermöglicht eine unternehmensindividuelle Beschreibung der Zukunft. Jedes Unternehmen ist dadurch in der Lage, daraus die entscheidenden Schlüsse zu ziehen und eine Erfolg versprechende Industrie 4.0-Zielposition zu definieren.

Die Ermittlung der Zielposition gliedert sich in drei übergeordnete Phasen, dargestellt in Bild 2 oben: Vorausschau durchführen (Phase 1), Auswirkungsanalyse durchführen (Phase 2) und Zielpositionen ermitteln (Phase 3). Diese übergeordneten Phasen werden in den zwei darunter befindlichen Strängen näher konkretisiert. Oberhalb der grau gestrichelten Linie (oranger Pfad) wird die Trendanalyse zur Ermittlung des mittelfristigen Zielprofils beschrieben (Schritte 1a) bis 3a)). Unterhalb (roter Pfad) kommt die Szenario-Technik zum Einsatz (Schritte 1b) bis 3b)). Die Anwendung dieser Methoden führt zu zwei Zielprofilen mit unterschiedlichen Zeithorizonten und wird im Folgenden näher beschrieben.
 


Bild 2: Vorgehen zur Ermittlung einer Erfolg versprechenden Zielposition.

Vorausschau durchführen (Phase 1)

Zur Abschätzung der mittelfristigen Industrie 4.0-Entwicklungen (Zeithorizont ca. fünf Jahre) wird zunächst eine Trendanalyse durchgeführt. Bei einem Trend handelt es sich um eine mögliche Entwicklung der Zukunft, die in gewissem Rahmen bereits heute beobachtet werden kann und aufgrund ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkungen aller Voraussicht nach einen Einfluss auf das künftige Geschäft haben wird [5]. Die Trendanalyse (Schritt 1a) beinhaltet verschiedene Maßnahmen. Zunächst erfolgt die Ermittlung der Industrie 4.0-Trends. Als geeignete Quellen hierfür haben sich Studien, Fachpublikationen, Experteninterviews und Webcrawler, die das Internet nach aufkommenden Trends in verschiedenen Themenfelder durchsuchen, erwiesen. Anschließend werden die Trends dokumentiert. Dies erfolgt beispielsweise mithilfe von Trendsteckbriefen. Sie beinhalten eine Trendbeschreibung sowie mit dem Trend verbundene Chancen und Risiken [6]. Daraufhin werden die Trends bewertet. Geeignete Bewertungskriterien sind die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Auswirkungsstärke. Mithilfe der Bewertung lässt sich schließlich ein Trendradar aufspannen. Ein Trendradar visualisiert die Ergebnisse der Bewertung und gibt Aufschluss darüber, welche Trends von besonderer Bedeutung für das Geschäft von morgen sind. Trends mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit liegen im Zentrum des Trendradars. Trends mit hoher Auswirkung weisen einen großen Durchmesser auf. Die Visualisierung ermöglicht eine schnelle Erfassung relevanter und geschäftsbeeinflussender Trends.
Anschließend erfolgt die Abschätzung der langfristigen Industrie 4.0-Entwicklungen (Zeithorizont ca. 10 Jahre). Anstelle der Trendanalyse wird
hier die Szenario-Technik angewandt (Schritt 1b). Bei Zukunftsszenarien handelt es sich um allgemeinverständliche Beschreibungen von möglichen Situationen in der Zukunft. Sie beschreiben verschiedene denkbare Entwicklungsmöglichkeiten eines bestimmten Betrachtungsbereichs mit wählbarem Planungshorizont und eignen sich auch zur Abschätzung von langfristigeren Entwicklungen [5].

Die Erstellung von Zukunftsszenarien gliedert sich ebenfalls in verschiedene Maßnahmen. Zu Beginn erfolgt die Analyse des Szenariofelds. Das Szenariofeld beschreibt den Betrachtungsbereich, dessen Entwicklungsmöglichkeiten beschrieben werden sollen (z.B. das zu betrachtende Unternehmen oder einen Teilbereich wie die Produktion sowie dessen Umfeld). In diesem Szenariofeld werden die Einflussfaktoren identifiziert sowie deren Relevanz und Vernetzung untereinander bewertet. Einflussfaktoren beschreiben Faktoren, die auf ein Unternehmen einwirken und durch Variation ihrer Ausprägungen unterschiedliche Einflüsse auf ein Unternehmen haben können [7]. Anschließend lassen sich daraus die relevantesten Einflussfaktoren, sog. Schlüsselfaktoren, ermitteln. Daraufhin werden alternative Entwicklungsmöglichkeiten je Schlüsselfaktor beschrieben (Zukunftsprojektionen). Darunter sind die o.g. alternativen Entwicklungsmöglichkeiten eines Einfluss- bzw. Schlüsselfaktors zu verstehen. Abschließend werden alle Projektionen einer Konsistenzanalyse unterzogen. Hochkonsistente Projektionen werden darin zu schlüssigen Projektionsbündeln (Zukunftsszenarien) zusammengefasst. Ein Szenario besteht also aus einem Bündel von Zukunftsprojektionen, die gut zueinander passen. Es bietet sich an, die Projektionen zu Prosatexten auszuformulieren, damit die Zukunftsszenarien gut zu verstehen und leicht im Unternehmen zu kommunizieren sind. Anschließend werden die entwickelten Zukunftsszenarien bewertet. Analog zur Trendbewertung empfehlen sich hier die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Auswirkungsstärke als Bewertungsdimensionen. Die Bewertung erlaubt die Auswahl eines Referenzszenarios, das zur weiteren strategischen Planung herangezogen wird und ebenfalls als Eingangsgröße für eine Auswirkungsanalyse dient. Das Referenzszenario eignet sich außerdem sehr gut, um den Mitarbeitern eine detaillierte Vorstellung von der Entwicklung der Zukunft zu vermitteln und sie zu motivieren, ihr Denken und Handeln im Arbeitsalltag auf diese Zukunft auszurichten.
Bei den in der Vorausschau zu Grunde gelegten Zeitperspektiven für die mittlere und lange Frist (5 bzw. 10 Jahre) handelt es sich um etablierte Planungshorizonte der strategischen Vorausschau. Diese können selbstverständlich auf die individuellen Bedürfnisse eines Unternehmens angepasst werden, ohne dass das Vorgehen dadurch in irgendeiner Weise eingeschränkt würde.

 


Bild 3: Ermittlung von Auswirkungen der Industrie 4.0-Trends auf die Leistungssteigerung.

Auswirkungsanalyse durchführen (Phase 2)

Im Anschluss wird eine Auswirkungsanalyse durchgeführt. Hier wird untersucht, welchen Einfluss die antizipierten Umfeldentwicklungen auf die mittelfristige und langfristige Zielposition ausüben. Es wird ermittelt, ob die Trends bzw. ein Referenzszenario eine Leistungssteigerung behindern oder begünstigen. Es wird deutlich, ob unter Berücksichtigung der Umfeldentwicklungen höhere Leistungsstufen erzielt werden können. Die Auswirkungen berechnen sich zum einen aus den individuellen Bewertungen der zukünftigen Entwicklungen (Trends und Szenarien). Zum anderen wurde eine Einflussanalyse  mithilfe einer Einflussmatrix durchgeführt, die den Einfluss der Umfeldentwicklungen auf die Entwicklung der Leistungsstufen im Reifegradmodell (Quick-Check) untersucht. Diese Einflussmatrix kann anschließend in eine Auswirkungsmatrix überführt werden (Bild 3). Wir erläutern die Auswirkungsanalyse am Beispiel der Industrie 4.0-Trends.

In der Einflussmatrix geht es um die Fragestellung, wie ein Trend j (Spalte) die Leistungssteigerung eines Quick-Check-Kriteriums i (Zeile)
beeinflusst. Als Bewertungsmaßstab dienen fünf Ausprägungen: von -2 (Trend erschwert Leistungssteigerung stark) bis 2 (Trend begünstigt Leistungssteigerung stark). Mithilfe dieser Matrix kann der Einfluss jedes Trends auf die Quick-Check-Kriterien ermittelt werden. Als Beispiel dient der paarweise Vergleich des Quick-Check-Kriteriums T1 „Horizontale Integration“ und Trend 7 „Durchdringung von CPS“. Der Trend begünstigt eine Leistungssteigerung des Kriteriums stark und wird daher mit einer Einflussstärke von 2 bewertet. Die Matrix gilt es vollständig auszufüllen. Anschließend können die Gesamt-Auswirkungen berechnet werden. Dies erfolgt mithilfe der Auswirkungsmatrix. Darin geht es um die Fragestellung, welche Gesamt-Auswirkung ein Trend j (Spalte) auf die Leistungssteigerung eines Quick-Check-Kriteriums i (Zeile) hat. Im Gegensatz zur Einflussmatrix wird hier neben der Einflussstärke auch die individuelle Trendbewertung eines Unternehmens berücksichtigt. Durch Multiplikation der drei Kennzahlen Einflussstärke, Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkungsstärke eines jeden Trends kann die Auswirkungsmatrix berechnet werden. Für das oben genannte Beispiel ergibt sich hier eine Gesamt-Auswirkung von 30. Bildet man zusätzlich für jedes Quick-Check-Kriterium die Zeilensumme, erhält man eine Kennzahl für die Beeinflussung eines Quick-Check-Kriteriums durch die antizipierten Industrie 4.0-Trends. Ausgehend von diesen Zeilensummen können Empfehlungen für mittelfristige Ziel-Leistungsstufen jedes Kriteriums abgeleitet werden. Dies erfolgt zweistufig:

• Die Zeilensumme aus der Auswirkungsmatrix kann in eine Intervallskala überführt werden. Je nachdem, in welchem Intervall sich eine Zeilensumme befindet, werden dadurch Handlungsempfehlungen von 0 bis zu 3 Stufensprüngen ausgegeben. Die mittelfristige Industrie 4.0-Leistungsfähigkeit (z. B. Leistungsstufe 3) ergibt sich dann aus Summe der heutigen Industrie 4.0-Leistungsfähigkeit (z. B. Leistungsstufe 2) und der Leistungssteigerung durch die Auswirkungen der Industrie 4.0-Trends (z. B. plus 1 Stufe), wie am Beispiel des Kriteriums T23 „Datenspeicherung (Produkt)“ in Bild 2 (Phase 3a bzw. orangefarbener Pfad) dargestellt.
• Die dadurch ermittelte, mittelfristige Zielposition kann mithilfe der Datenbasis aus der Online-Software mit ähnlichen Unternehmen verglichen und ggf. korrigiert werden. Das führt dazu, dass die Ermittlung der Zielposition nicht einzig und allein auf der eigenen Einschätzung beruht, sondern zusätzlich durch die Einschätzung externer Anwender verifiziert wird. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt beinhaltet die Software rund 200 Vergleichs-Datensätze.

Durch analoges Vorgehen kann die Auswirkung des ausgewählten Referenzszenarios auf die langfristige Zielposition ermittelt werden. Anstelle der Industrie 4.0-Trends werden in der Einfluss- bzw. Auswirkungsmatrix die Quick-Check-Kriterien sowie die im Referenzszenario enthaltenen Zukunftsprojektionen gegenübergestellt. Bild 2 unten (bzw. roter Pfad) zeigt das Ergebnis der Auswirkungsanalyse am Beispiel des Kriteriums B4 „Wertschöpfungskooperation“. Eine Leistungssteigerung unter Berücksichtigung des Referenzszenarios wird stark begünstigt. Im Zeithorizont von 10 Jahren wird eine Leistungssteigerung um zwei Stufen von L2 auf L4 empfohlen.


Zielpositionen ermitteln (Phase 3)

Aus der Auswirkungsanalyse ist jetzt bekannt, wie sich die Industrie 4.0-Trends sowie das Referenzszenario auf die einzelnen Kriterien des Reifegradmodells auswirken. Daraus können in der dritten Phase ein mittel- und langfristiges Zielprofil gebildet werden. Darin kann abgelesen werden, welcher Handlungsbedarf sich für die priorisierten Kriterien in den kommenden fünf bzw. zehn Jahren ergibt. Durch die prägnanten und detaillierten Beschreibungen der Leistungsstufen erhalten Unternehmen einen Überblick darüber, welche Maßnahmen zur Erreichung der Zielprofile zu ergreifen sind. Diese Maßnahmen können ggf. über Maßnahmenpläne oder Umsetzungs-Roadmaps konkretisiert werden.


Fazit und Ausblick

Der Beitrag liefert ein Vorgehen, das die Ermittlung einer Erfolg versprechenden Industrie 4.0-Zielposition unter Berücksichtigung von Umfeldentwicklungen ermöglicht. Mithilfe eines Reifegradmodells, Methoden der Vorausschau und einer Auswirkungsanalyse ist es möglich, Zielprofile zu zwei aufeinander aufbauenden Zeitpunkten in der Zukunft zu ermitteln. Damit sind die Grundvoraussetzungen zur Umsetzungsplanung von Industrie 4.0 geschaffen. Durch die Beschreibungen der Leistungsstufen im Reifegradmodell gewinnen Unternehmen eine genaue Vorstellung von zukünftig erforderlichen Aktivitäten. An die Grenzen stößt das methodische Vorgehen derzeit noch bei der Berücksichtigung der Interdependenzen zwischen den Kriterien, die weiterentwickelt werden sollen. Identifizierte Abhängigkeiten gilt es bei der Umsetzung zu berücksichtigen, um Synergien bestmöglich auszuschöpfen. Diese Berücksichtigung erfolgt derzeit noch manuell und häufig erst in der Umsetzungsplanung. Sie basiert vor allem auf der Erfahrung des Anwenders. Der Gegenstand aktueller Forschungsbemühungen ist es, diese Interdependenzen bereits frühzeitig mit ins Kalkül zu ziehen. Ferner wird aktuell ein methodisches Vorgehen zum Umsetzungs- und Prämissen-Controlling erprobt. Beim Prämissen-Controlling wird regelmäßig geprüft, ob die bei der Zielpositionsermittlung getroffenen Annahmen (z. B. die Trends) nach wie vor gelten. Das Umsetzungs-Controlling hat hingegen die Aufgabe, die Umsetzung der Maßnahmen zur Erreichung der ermittelten Zielpositionen sicherzustellen. Für den Fall, dass hier Abweichungen in Bezug auf Annahmen und Umsetzungsmaßnahmen festgestellt werden, können die Zielpositionen und Maßnahmen iterativ angepasst werden.
 
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Verbundprojekts INLUMIA – Instrumentarium zur Leistungssteigerung von Unternehmen durch Industrie 4.0. Das Verbundprojekt aus 11 Partnern wird aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung NRW (EFRE.NRW) mit einem Fördervolumen von rund 2,5 Millionen Euro unterstützt.

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Schlüsselwörter:

Industrie 4.0, Reifegradmodell, Leistungssteigerung, Strategie, Zielposition

Literatur:

[1]  Schuh, G.; Anderl, R.; Gausemeier, J.; ten Hompel, M.; Wahlster, W. (Hrsg): Industrie 4.0 Maturity Index – Die digitale Transformation von Unternehmen gestalten (acatech STUDIE). München 2017.
[2] Kese, D.; Terstegen, S.: Benchmark Reifegradmodelle, Wie reif ist ein Unternehmen für die Industrie 4.0? In: IEE – Industrie Engineering Effizienz 10 (2017), S. 30-34.
[3]  Ulich, E.: Arbeitssysteme als Soziotechnische Systeme – eine Erinnerung. In: Psychologie des Alltagshandelns 6 (2013) 1, S. 4-12.
[4]  Christiansen, S.-K.: Methode zur Klassifikation und Entwicklung reifegradbasierter Leistungsbewertungs- und Leistungssteigerungsmodelle. Paderborn 2009.
[5]  Gausemeier, J.; Plass, C.: Zukunftsorientierte Unternehmensgestaltung – Strategien, Geschäftsprozesse und IT-Systeme für die Produktion von morgen. 2. Auflage. München 2014.
[6]  Pierenkemper, C.; Drewel, M.; Gausemeier, J.: Zukunftsorientierte Leistungssteigerung von Unternehmen durch Industrie 4.0. In: Smajic, H. (Hrsg): Tagungsband AALE 2018. Köln 2018.
[7]  Karl, F.: Bedarfsermittlung und Planung von Rekonfigurationen an Betriebsmitteln. München 2017.